Erinnerungen trügen und ich frage mich oft, ob es tatsächlich Daphne Du Mauriers Buch Rebecca gewesen sein kann, das in mir den Wunsch zum Schreiben weckte. Denn als ich meine erste Geschichte schrieb, war ich erst zwölf Jahre alt. Habe ich dieses Buch tatsächlich schon mit zwölf Jahren gelesen?
Ich weiß noch, dass ich es bei meiner Großtante fand, einer ausgesprochen bescheidenen Frau, die ihr Leben in einer 35 m² kleinen Wohnung verbrachte. Es fanden nicht viele Bücher in den zwei dunklen Zimmern Platz, daher war sie eine eifrige Besucherin der Stadtbücherei. Umso überraschter war ich, als ich einen Stapel Bücher auf der Garderobe im Flur entdeckte. Rebecca weckte sofort meine Neugier. Das Buch hatte keinen Umschlag mehr, war alt und schien bereits mehrmals gelesen worden zu sein. Kein Umschlag, kein Klappentext. Die Beschreibung des Inhaltes kann mich also nicht beeindruckt haben. Es war der Titel, der Name, der mir gefiel. Meine Großtante schenkte mir das Buch und ich stürzte mich in die Lektüre.
Ich tauchte ein, in eine neue faszinierende Welt und lebte die nächsten Wochen auf Manderley. In einer Lesepause räumte ich zur großen Freude meiner Mutter meinen Schreibtisch auf. Dann nahm ich auf meinem orangefarbenen Schreibtischstuhl Platz, malte mir eigenes Briefpapier mit meinen Initialen am Kopfende der Seite, und stellte mir vor, ich sei die neue Herrin Manderleys, die gerade ihre Post im Morgenzimmer beantwortete.
Ich las weiter, Seite für Seite, kannte jeden Winkel des Herrenhauses, litt mit Maxim de Winters junger Frau, mit Maxim selbst, hasste Mrs. Danvers und Favell und fragte mich, warum die neue Mrs. de Winter die alte Haushälterin nicht einfach hinauswarf. Als Manderley schließlich in Flammen aufgegangen war, war ich untröstlich.
Ich setzte mich wieder an meinen Schreibtisch, vor mir lag mein Briefbogen: Weißes Papier, das darauf wartete beschrieben zu werden. Und plötzlich wusste ich, dass ich schreiben musste. Eine Geschichte, in der meine Heldin sich so verhalten würde, wie ich es mir vorstellte. Eine Heldin, die eine Mrs. Danvers schneller rausschmeißen würde, als Maxim überhaupt den Namen „Rebecca“ aussprechen konnte und in der mein Manderley kein Opfer der Flammen werden würde.
Kurz darauf entdeckte ich Agatha Christie und verschlang in einem einzigen Sommer nahezu alle Kriminalromane von ihr. Als der letzte Mord gelöst war, las ich, aus Verzweiflung darüber, Hercule Poirot, Miss Marple und Mrs. Oliver hinter mir lassen zu müssen, Agatha Christies Autobiographie Meine gute alte Zeit. Darin beschreibt sie ausführlich ihren Weg zur Schriftstellerei, und in diesen Tagen nahm mein bis dahin eher diffuser Wunsch zu schreiben konkrete Gestalt an und eröffnete mir einen neuen Berufswunsch.
Damals habe ich meinen Eltern erklärt, dass ich Schriftstellerin werden wolle, sie haben mir nicht widersprochen, mich nicht ermahnt, erst einen „anständigen“ Beruf zu erlernen, denn meine Berufswünsche hatten sich bis dahin regelmäßig geändert und Schriftstellerin war nicht der exotischste Wunsch unter ihnen. Mit vier Jahren war mir klar, dass es das Beste für mich wäre, Bäuerin zu werden, wenig später entschied ich mich doch lieber für eine Laufbahn als Kapitänin, bevor ich dann auf die Idee kam, Zirkusartistin zu werden. Meine Eltern registrierten nun also den neusten Berufswunsch ihrer Tochter ohne größere Überraschung und meine Mutter trat mir ihre alte Schreibmaschine ab.
Ich begann zu schreiben. In meiner Patencousine fand ich eine Verbündete, die ich schnell überreden konnte, auch Autorin werden zu wollen. Gemeinsam begannen wir also jede mit einer Geschichte. Meine Schreibpartnerin gab zwar nach der ersten Seite den Wunsch der Schriftstellerei auf, las aber brav meine Geschichte, die ich in wenigen Tagen fertig gestellt hatte. Sie umfasste immerhin 100 Seiten und ich gab ihr den Titel „Der Sonne entgegen“. Meine erste Leserin war voll des Lobes und mit geschwollener Brust entschied ich, mich nun erst einmal auf den Lorbeeren ausruhen zu können. Die erste Geschichte war schließlich geschrieben und somit der Grundschein für ein erfolgreiches Schriftstellerleben gelegt.
Im Laufe der folgenden Jahre ging zwar leider mein Erstlingswerk verloren, der Wunsch zu schreiben blieb jedoch immer in mir verankert. Genau wie damals ist es das weiße Blatt, das mich auffordert zu schreiben. Die leeren Seiten schreien danach, von mir beschrieben zu werden. Welten wollen erschaffen werden, deren Erschaffer ich sein möchte.
Ich habe mittlerweile unzählige Bücher gelesen, sehr viele haben mich tief beeindruckt und ihre Spuren in meinem Inneren hinterlassen. Immer wieder spürte ich den Drang zu schreiben, immer wieder kam ich davon ab. Agatha Christie und Daphne Du Maurier tauchen immer wieder in meinem Leben auf. Ich begegnete ihnen, wenn ich nicht damit rechnete und dann war mir plötzlich wieder klar, dass ich schreiben muss. Dass ich niemals zufrieden sein würde, wenn ich mich davon abhalten ließ.
Im April 2012 waren mein Mann und ich in Fowey, der Wahlheimat Daphne Du Mauriers. Es war ein wunderschöner sonniger Tag und als ich Ferryside, Daphne Du Mauriers Haus, betrachtete, brodelten unzählige Ideen in mir. Das gleiche Gefühl hatte ich ein Jahr zuvor in Greenway, dem Ferienhaus von Agatha Christie.
In diesen Momenten wurde mir bewusst, wie wichtig es für mich war zu schreiben und wie unsagbar fern ich mich davon fühlte. Warum ließ ich mich immer wieder davon abhalten? Wieso blieb der Wunsch trotzdem so hartnäckig in mir verankert? Manchmal war mir, als lächelten mich die beiden englischen Autorinnen an und würden sagen: „Schreib. Träume nicht davon, sondern schreib.“